Saturday, April 28, 2007

Ein Teil von jener Kraft

Rolf-Peter Wille


Satanische Verse. Der Versuch einer Synopsis würde wohl scheitern: Schaitan (Satan), offensichtlich das erzählende "Ich" dieses Romans, singt seine Verse zu versiert, zu verwoben, zu eitel—in Kürze, zu teuflisch. Leser, die glauben, nur satirische Religions- oder Sozialkritik zu vernehmen, werden hier wohl bereits diesen diabolischen Verführungskünsten zum Opfer gefallen sein, wie ja auch fast alle Charaktere innerhalb des Romans, ob Prophet, Imam oder Bergsteiger, ihren fanatischen Glauben diversen "suggestions diaboliques" verdanken.

Der Böse erscheint aber hier nur relativ diabolisch und, dass noch kein Sataniker Herrn Rushdie wegen dieser Blasphemie zur ewigen Seligkeit verdammt hat, wundert mich ausserordentlich. Er, der Böse nämlich, wirkt hauptsächlich durch seine indischen Protagonisten, Gibreel Farishta und Sala(hud)din Chamcha(wala), die er aus seinem unsteten Element, der Luft, auf London fallen lässt. Aus dem explodierenden Flugzeug fallen beide "downdown", umarmen sich "head-to-tail" und ihre weiteren Lebenswege verschlingen sich in einem fantastischen Gewebe nicht unähnlich den labyrinthischen Verirrungen des Mönchs Medardus und seines Doppelgängers, Graf Viktorin, in ETA Hoffmanns "Die Elixiere des Teufels" (1816). Und nicht allein ihre Lebenswege. Wirklichkeit vermischt sich magisch mit Traum, die Gegenwart verursacht die Vergangenheit, das Profane Heiliges; der Bollywood Star Gibreel Farishta verwandelt sich in den Erzengel Gabriel und Prostituierte verkörpern die 12 Gemahlinnen des Propheten (sogar auch eine bereits verschiedene, die die nekrophilen Gelüste ihrer Liebhaber befriedigt).

Ist dies die Hölle von El Bosco? Eigentlich nicht. Trotz, oder vielleicht sogar wegen, der teuflischen Verdrehungen bleiben wir doch stets im Gewürzgarten der indischen Lüste. In Ellowen Deeowen (L o n d o n) verwandelt sich Saladin Chamcha zwar in einen stinkenden (Sünden)bock und, wie er von der Londoner Polizei brutalisiert wird, erinnert es stark an Kafkas Gregor Samsa ("Die Verwandlung, 1916). Chamcha = Samsa. Er liegt als ein "Insekt" auf dem Boden des Polizeiwagens (wie ein grosser Käfer?). Aber er stirbt nicht in dieser Isolation. Die teuflische Metamorphose, die "Demoniasis", ist nur vorübergehend. Eine Metapher.

Und was ist der Teufel? Er ist, wie Goethes Mephistopheles "ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Die Antithese. Er ist auch der satirische Dichter Baal im Kampf mit dem dogmatischen Mahound (der fiktive Prophet in dieser Traumszene, "Mohammed"). "Prostituierte und Dichter, Mahound. Wir sind die Leute, denen du nicht vergeben kannst." sagt Baal vor seiner Hinrichtung. Der Prophet: "Dichter und Prostituierte. Ich sehe keinen Unterschied hier." Schwere Beleidigungen—doch für wen eigentlich? Je länger man liest, desto weniger weiss man’s: Mahound ist nicht immer dogmatisch. Ursprünglich war er Geschäftsmann. Der Dichter war ein Feigling und man konnte ihn kaufen. Und nur die Prostituierten zeigen wirkliche Barmherzigkeit, wenn sie Baal helfen. Satan ist überall und er schafft das Leben, böse und gut.

"Nun gut, wer bist du denn? --Ein Teil vo jener Kraft…" Dies ist auch das Epigraph von Michail Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita" (~1930). Rushdies "Mahound" Traumszenen erinnern in der Tat an Bulgakows grossartige Kreuzigungsszene ("Pontius Pilatus", "Die Hinrichtung"), aber sie erreichen nicht ihre visionäre Wucht. Bulgakows Prosa ist sehr viel konzentrierter. Rushdies rhetorische Konstruktion ist oft zu seriell. Er packt zu viele Attribute und Metaphern in seine Sätze. Alle sind sehr farbig und amüsant, aber seine Muse zählt sie nur auf, anstatt sie kontrapunktisch zu verknüpfen. Als Leser erlebe ich nun ein Dilemma: Entweder lese ich prestissimo, lese ich oberflächlich, verpasse ich all die Leckerbissen. Oder ich lese molto rubato, schleckere all die Delhi-, Delhi-, Delikatessen auf dem Buffettisch, Mumbai oder London, …und muss dann mit Verdauungsstörungen rechnen.

Doch es gibt zum Glück auch konzentrierte Erzählungen in den Satanischen Versen, unvergesslich die wundersame Geschichte von Titlipur, der reichen armen Stadt mit den magischen Schmetterlingen. Wie der Rattenfänger von Hameln lockt die fanatische kleine Prophetin Ayesha die Einwohner von Titlipur. Die gesamte Stadt, Arme, Reiche, Prophetin und Schmetterlinge pilgern durch Indien, durch Grausamkeiten, durch Mirakel, durch das Arabische Meer nach Mekka. Diese Geschichte allein ist Weltliteratur.









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